2020.11 | Reinhard Voigt: Hör zu. jevouspropose#9

Reinhard Voigt: Hör zu
@jevouspropose#9 Zürich

Darf die Schweiz bewundert werden? Diese Frage treibt mich um, wenn ich Reinhard Voigts Werke für unsere Zürcher Ausstellung betrachte, die Trachtenfrauen, Fahnenschwinger, Berge, Blumen und Seeansichten wiedergeben. Die Motive rufen frische Luft, Frieden, Einigkeit, Traditionsbewusstsein und die “heile Welt“ als Sehnsuchtsort in Erinnerung. Darf die “heile“ Schweiz ins Bild gehoben werden?

von Susanne Neubauer

Kulturhistorisch wird ins Bild gehoben oder auf den Sockel gestellt, was einer besonderen Betrachtung verdient; manchmal wirklich verdientermassen, andermal erschlichen. Sehr oft folgte darauf ein Aufschrei – denken wir an die Landschaftsmalerei, die das Mindere zum Gegenstand der Königsdisziplin aller Künste machte. Dabei nicht unwichtig ist der Urheber des „Sich-ins-Bild-hebens“. Auf den Sockel gestellt hatten sich die Herrscher immer selbst. Frech war es, wenn sich Rembrandt malte oder Dürer sich als Jesus abkonterfeite. Heute hebt sich jeder ins Bild, der sich Bedeutung verleihen möchte. Wenn ich auf die Persönlichkeit Reinhard Voigt blicke, frage ich mich: Gibt es Künstler, die sich dem „Ins-Bild-heben“ verweigern? Es aber trotzdem als subversive Geste verwenden? Ja, gibt es. Reinhard Voigt ist ein solcher.

Voigt, der gebürtige Berliner mit Jahrgang 1940, Auswanderer, Rückgekehrter, ist hochpolitisch in seiner Arbeit, obwohl er als Mensch nicht wirklich in Erscheinung tritt. Seine Aussagen sind präzise und zeugen von einem scharfen Auge. Sein Werk ist nahezu unbekannt. Ich meine, weil gerade diese politischen, kritischen Dimensionen seiner langjährigen Arbeit bisher nicht richtig erkannt wurden. Rezipiert wurde Voigts Malerei als ein Ausdruck vordigitaler Abstraktion mit einem Hang zum Design, zum Schönen. Wir sind in den 1970er Jahren und zugleich im Heute. Damals schrieb Voigt:

„Eines meiner Bilder habe ich betitelt ‚Sehnsucht nach Luxus, Ruhe und Wollust‘. Ich bin sicher, dass ich damit einen meiner Hauptantriebe für meine Arbeit bezeichnet habe und dieser Titel auf alles, was ich male, anwendbar ist. Für meine Malerei werden häufig Begriffe wie ‚Raster‘, ‚Mosaik‘ oder ‚Strickmuster‘ herangezogen. Das alles will ich gar nicht erst entkräften. Weil es aber nur etwas über die Strukturen aussagt, interessiert es mich nicht so sehr. Wirklich interessiert mich nur eines: Schönheit.“1

Zum Raster sagt Voigt, er verwende es gegenständlich. Das Raster befreit ihn vom Malduktus, für den er sich nie interessiert hat. Die Verführung des Auges wie bei Gerhard Richter finden wir bei Voigt nicht, ebenso wenig wie Franz Gertschs fotorealistische Rasterpunktsetzungen. Anders sieht es bei den Farben aus. Ihnen ist Voigt mehr als verfallen. In ihnen sieht er die Schönheit, die Klarheit. Die Farbe hat Voigt zunächst herausgefordert. Zu Beginn seiner Karriere waren seine Bilder dunkel. Quadrat neben Quadrat hat sich das Gegenständliche bei Voigt aufgelöst.Mit der Zeit hat er sich von der Grisaille emanzipiert, seine Bilder wurden farbiger, die Quadrate kleiner und die Motive differenzierter. Die Vorliebe für Blumen, Frauen und Landschaften schälte sich heraus. Oftmals lieferten Zeitschriften oder Fotografien die Vorlagen.

„Kontext“ ist Voigt nach eigenen Angaben wichtig und so kommt es, dass er eine fotografische Arbeit „In Memory of Petra Kelly“ (1993) gestaltet oder Hanna Stirnemann-Hofmann (1969) „ins Bild setzt“, die Frau, die 1930 erste Museumsdirektorin Deutschlands wurde, bis die Nationalsozialisten sie zwangen, ihren Posten zu räumen.2

Reinhard Voigt und die Frauen, so scheint es, sind immer ein gutes Paar gewesen. Die Anlehnung an die Rasterung fand Voigt bei den Gobelin-Stickereien seiner Mutter. Hätte er diese nicht mit Farbe, sondern mit Nadel und Garn umgesetzt, müsste ich weitaus mehr über Voigts feministisch-kritischen Ansatz trockelscher Prägung schreiben. Diese Referenz ist absolut wichtig, denn Voigts Kunst ist ihre weibliche Seite nicht abzusprechen. Sie markiert eine erholsame Position innerhalb des Aufeinanderpralls feministischer, oftmals zu stark sexualisierter Kunst der Frauen. Männliche Körperlichkeit, wie sie Chuck Close in seinen Bildern fast tastbar in Farbe umsetzt: Fehlanzeige bei Voigt.

Amerikanische „grids“ („Raster“) sind keine wirklich andere Referenz, auch wenn sie ein naheliegendes zentrales Motiv in der Kunst des 20. Jahrhunderts sind, angefangen beim europäischen Raster der De-Stijl-Bewegung oder der Zürcher Konkreten bis hin zum amerikanischen von Ad Reinhardt, Agnes Martin und Sol LeWitt. „As a network of woven linen threads, the canvas they work on is ‚already‘ a grid; adding another grid on top lets painters comment on the act of painting itself“,3 so die amerikanische Kunstkritikerin Alina Cohen. Die Leinwand als „grid“ ist die optimale Grundlage, weitere „grids“ auf sie zu setzen, was zum Akt der Beschäftigung mit Malerei per se wird. In diesem Sinne ist Voigt doch ein Stück weit ein „grid“-Maler, denn das Raster ist eine formale Setzung, über die er nicht hinweggeht. Das Motiv setzt sich ins Raster und wird sekundär, es ordnet sich ihm unter. Dies geschieht aber nur mit dem Motiv, nicht mit der Farbe, und diese ist für Voigt der wichtigere „part“.4

Auch wenn Voigt von seiner Malerei behauptet, das Raster ordne sich dem Motiv unter, würde ich dagegenhalten, es ist die Farbe, die ihren prominenten Platz behauptet. Sie dominiert die Stimmung des Bildes und macht seine Präsenz aus. Deswegen ist es auch nicht ganz richtig, Voigt mit der frühen Computerkunst in Verbindung zu bringen, die allesamt in ihrem Schriftschnitt „farblos“ ist. Auch ist das Serielle keine eigentliche Qualität bei Voigt, folglich unterscheidet er sich hier von den Amerikanern und den Computertechnikern wie Vera Molnar oder Frieder Nake. Wenn amerikanisch, dann ist Voigt ein europäischer Pop-Artist, der sich einen Spass daraus gemacht hat, das krachende, „naive“ Motiv zu wählen und die Farben dazu, in einer Zeit, als die RAF Deutschland terrorisierte. Was gibt es Knalligeres als holländische Tulpen? Und ein Schweizer Trachtenmädchen?

Reinhard Voigt hat in Hamburg von 1965 bis 1971 an der Akademie studiert, weil er bei Hans Thiemann, einem Schüler von Klee und Kandinsky in Dessau, lernen wollte. Die Zeit war günstig, denn an der dortigen HfBK gingen Gastdozenten wie David Hockney und Allan Jones ein und aus. Auch Joseph Beuys war dort und sah Voigts Leinwände, die ihn sprachlos machten. Für den jungen Kunststudenten war dies nicht nur ein prägendes Erlebnis, sondern auch eine wertvolle Weisung, die eigene Malerei und die Arbeit an der Staffelei nicht in Frage zu stellen. Obwohl der Berliner nach dem Studium in der Kunstmetropole Köln Ausstellungen bei der avantgardistischen Galerie M. E. Thelen hatte und er mit Palermo, Rainer Ruthenbeck und anderen der damals aufstrebenden deutschen Malergeneration zusammen ausstellte, blieb Voigt eine Randfigur. Ein Grund für die Ferne?

Voigt hatte immer ein bisschen den Kanon herausgefordert, nicht nur mit seinem malerischen Konzept und seiner Motivwahl, sondern auch mit spitzbübischen Ideen. Als Student wurde ihm ein Reisestipendium nach New York verwehrt, das er sich vom Deutschen Akademischen Austauschdienst erhoffte. Als dies aus verschiedenen Gründen nicht realisiert werden konnte, schlug er die Schweiz vor – obwohl sich dort keine geeignete Kunsthochschule befand, an der sich Voigt hätte immatrikulieren können. Erstaunlicherweise wurde der junge Kunstabsolvent doch entsandt und er machte sich in den Jahren 1972 und 1973 auf, die Schweiz reisend zu erforschen. Diese zahlreichen Aufenthalte wurden für Voigt, der seine Jugend in den Kriegstrümmern Berlins verbrachte, prägend. Der Maler hat die kriegsunversehrte und kleinbürgerliche Schweiz mit ihrer guten Luft kaleidoskopartig skizziert und anschliessend „ins Bild gesetzt“. Gerastert. Kleingeteilt. Auf ihre Symbole reduziert. Ihre Landschaft in Farbfelder aufgelöst.

Heute noch ist Voigt von der Schweiz begeistert. Er liebt den Schweizer Akzent. Obwohl die damaligen Reisen kurz waren, blieb ihm die Schweiz ein Sehnsuchtsland. Oder genau deswegen. Es ist nicht die Folklore oder das Schweizertum, dem Voigt Verehrung zollt. Die heutige Welt wird von Autokraten, Ignoranten, Profiteuren, Meinungsbildnern und jenen dominiert, die für sich Bilder aneignen und sie für ihre Ziele verfremden. Die Ausstellung gerade heute zu machen, ist ein Statement.

1 Katalogbroschüre Reinhard Voigt, Galerie + Werkstatt e.V. Wolfenbüttel, 12.12.1975-25.1.1976.
2 Stamm, Rainer: „Die Avantgarde der Frauen“, Frankfurter Allgemeine, 3.4.2018. Hanna Stirnemann war später als Johanna Hofmann langjährige Leiterin des Deutschen Werkbunds Berlin.
3 Cohen, Alina: „For Artists, Grids Inspire Both Order and Rebellion“, Artsy, 24.7.2018.
4 O-Ton. Reinhard Voigts Sprache ist immer wieder mit US-amerikanischen Ausdrücken gespickt, ein Vermächtnis seiner langen Zeit in diesem Land.

jevouspropose#9
Reinhard Voigt: Hör zu

24.11.2020 bis 30.1.2021

4 Eröffnungen in Anwesenheit von Susanne Neubauer, Reinhard Voigt (digital) und Sabina Kohler 18 - 20 Uhr

24.11.2020
15.12.2020
12.1.2021
26.1.2021

Bitte reservieren Sie für die Eröffnungen einen Time Slot via

@je_vous_propose Instagram-Takeover
Susanne Neubauer in Zusammenarbeit mit Reinhard Voigt

Öffnungszeiten
Donnerstag 14 - 18 h und
auf Vereinbarung

jevouspropose
Molkenstrasse 21
8004 Zürich
info@jevouspropose.ch

Comments are closed.