2012 | Film der Antworten

This contibution is the third text I have been written on the work of filmmaker Thomas Henke. This time it was the first time I wrote about the complex relationship between religion and contemporary art. I am still fascinated by this issue and by the work of Thomas and Peggy.

 

Film der Antworten

Susanne Neubauer

Peggy und Thomas Henkes Film der Antworten ist das Resultat eines Langzeitprojekts, dem eine Annäherung und ein darauffolgender, sich über fünf Jahre hinweg ziehender Dialog mit zwölf Ordensschwestern der niederrheinischen Benediktinerinnen-Abtei Mariendonk zugrunde liegt. Der vierstündige Film ist nicht nur Dokumentation, Meditation und Glaubensbekenntnis in einem, sondern auch Bestandesaufnahme zur einschlägigen Diskussion um das heutige Verhältnis von Kunst und Religion im gesellschaftlichen wie künstlerischen Kontext. Dass diese Arbeit einen ganz eigenen Weg der Vermittlung innerhalb dieses kontroversen Diskurses einschlägt, ist Gegenstand meiner Ausführungen.

Die Tragweite eines seit dem 11. September 2001 diagnostizierten religious turns in der heutigen Kunst lässt sich an der großen Anzahl an Ausstellungen mit Titeln wie Iconoclash (2002), Die Zehn Gebote (2004), 100 Artists See God (2002/4), Gott sehen. Das Überirdische in der zeitgenössischen Kunst (2005), Choosing my Religion (2006) oder The Return of Religion and Other Myths (2008) beobachten. Allen diesen Ausstellungen ist die allgemeine Feststellung gemein, dass gesellschaftlich praktizierte Religiosität eine Umwertung und Zunahme erfahren habe. Die Ausstellungen sind diesbezüglich Standortbestimmungen, widerspiegeln sie nicht nur kuratorische Konzepte, sondern auch künstlerische Haltungen zur Frage der Bedeutung von Religion und Glaube in der heutigen Gesellschaft. Nachdem sich die für das ZKM in Karlsruhe unter der Ägide von Peter Weibel organisierte Großausstellung Iconoclash. Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft, Religion und Kunst aus medientheoretischer Sicht einer Neubewertung von Abbildern und Bildrepräsentationen gestellt hatte, unternahm das von Klaus Biesenbach für das Hygienemuseum in Dresden kuratierte Projekt Die Zehn Gebote den Versuch, die heutige kulturgeschichtliche Bedeutung religionsethischer Grundsätze wie „Du sollst Dir kein Bildnis machen“ mittels zeitgenössischer Kunst zur Diskussion zu stellen. Dabei kam dem Dekalog, der sich „ausdrücklich an das Individuum“, d.h. den Besucher richtete, die Aufgabe des provokanten Aufhängers zu. Über den Umweg des konstatierten Wiedererscheinens des Religiösen nach 9/11 („Religion is back. Big time!“) interessierte sich der Ausstellungsmacher dem Pressetext gemäß für die subjektiven Ausformungen zwischen der Spiritualität und dem Fundamentalismus zum einen und dem Konsumhedonismus und der Instrumentalisierung zum anderen. Als „internationale Kunstausstellung“ verfolgte das Projekt auch ausdrücklich, die einem globalisierten Blick verpflichtete kuratorische Auswahl zeitgenössischer Positionen mit aktuellen Strukturindikatoren und Statistiken aus Wirtschaft und Politik eine dem Hygiene-Museum entsprechende gesellschaftliche Dimension zu verleihen. Eine weniger kuratorisch motivierte Standortbestimmung zum Verhältnis von Kunst und Religion war das von den Künstlern John Baldessari und Meg Cranston initiierte Projekt 100 Artists See God. Die Ausstellung, die erstmals kurz nach 9/11 am Laguna Art Museum in Laguna Beach, Kalifornien, veranstaltet wurde und später auch nach Europa reiste, versammelte Werke, die die eingeladenen Künstler zum Thema Gott, Religion und Spiritualität eingereicht bzw. eigens dafür entwickelt hatten. Der Fokus des Ausstellungskonzepts lag demgemäß auf der unjurierten Werkauswahl und der Fragestellung, wie Künstler generell auf verschiedene Vorstellungen von Gott reagieren: der Schwerpunkt liege deswegen, so die Organisatoren, eher auf der Repräsentation als den Glaubensrichtungen, d. h. auf der „Herausforderung, das `Göttliche` in einem einzigen Kunstwerk zu illustrieren.“ Wie Astrid Mania feststellte, war die Vermeidung der Wertung und Kategorisierung der sehr unterschiedlichen Werke eine Stärke dieser Ausstellung.1 Einer solchen Beschäftigung mit Fragen des Glaubens durch Künstler wurden weitere Ausstellungen wie Gott sehen und Choosing my Religion gewidmet. Gott sehen besaß aufgrund seines spezifischen Ausstellungsorts, dem Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen im Schweizerischen Warth, den besonderen Kontext eines ehemaligen Kartäuserklosters. Die Inszenierung der Ausstellung zielte auf eine den religiösen Bildwerken vergleichbare Erfahrbarkeit zeitgenössischer Kunst hin. Dabei ging es der Kuratorin Dorothee Messmer darum, dass das Publikum angeregt wird, über seine eigenen „Betrachtungsweisen“ zu Gottesbildern und Glaubensvorstellungen anhand zeitgenössischer Positionen nachzudenken und innerhalb der Räume dieses Klosters Möglichkeiten zu einer „vertieften Auseinandersetzung“ mit diesen Fragen zu finden.2 In dieser Hinsicht wurde eine Ausstellung entwickelt, die das Thema des Religiösen und die Bedeutungskraft von ausgestellten Bildwerken in seinem eigenen Format umsetzte. Trotz der dezidierten Aussage, dass es zwar um religiöse Motive, nicht aber um religiöse Inhalte geht,3 führte dies folglich zu einer Vermischung einer rezeptiven Abarbeitung von Fragen über Religion und zu einer Emanation religiöser Atmosphären. Entgegen diesem auf Erfahrbarkeit hin inszenierten Projekt diskutierte The Return of Religion and Other Myths (2008) die Wiederkehr der Religion und „anderer Mythen“ als Phänomen heutiger Gesellschaften. Die auf Jürgen Habermas zurückgehende Feststellung, dass wir in einer postsekulären Gesellschaften leben, in der sich deren Modernisierung und das Aufkommen verschiedener religiöser bzw. desekulärer Ausformungen verflechten,4 bildete die Ausgangsbasis einer von Maria Hlavajova, Sven Lütticken und Jill Winder initiierten Ausstellung, eines Readers sowie einer Reihe von Veranstaltungen.5 Die Ausstellung The Art of Iconoclasm diskutierte unter anderem an Arbeiten von Carl Andre, Imi Knoebel, Willem Oorebeek, Haim Steinbach und Natascha Sadr Haghighian die These, dass (religiös motivierter) Ikonoklasmus und ikonoklastisch angelehnte Strategien moderner und zeitgenössischer Kunst nicht unbedingt eine Ausformung „ikonophobischen Vandalismus“ darstellt, sondern visuelle Kultur im Allgemeinen untersucht.6 Wie die Autoren vermerken, geht es ihnen dabei in erster Linie um die Rolle der Massenmedien, in denen sich die „Rückkehr des Religiösen“ besonders zu manifestieren scheint, und um einen Versuch, Religion durch und mittels Kunst zu verstehen.

Diesen hier kurz vorgestellten Ausstellungen ist eine Ausrichtung gemein, in der das Religiöse als Phänomen zu umfassen versucht wird. In den Ausstellungskonzepten wie den darin gezeigten Werken werden das privat praktizierte wie das öffentlich medialisierte Religiöse untersucht. Beiden Formaten geht es typischerweise im Anschluss an die konzeptuelle Wende der 1960er gerade nicht um Religion und Glaube, sondern ausschließlich um deren Einbettung in einen größeren gesellschaftlichen und medialen Kontext. Bekanntermaßen sind es die funktionalen Systeme organisierter Glaubensgemeinschaften, die Künstler wie Kritiker und Kuratoren einer kritischen Betrachtung unterziehen. Wenngleich sich auch Grauzonen auftun, so dürfte keine in diesen Ausstellungen gezeigte Arbeit für einen kirchlichen Kontext entstanden sein, sondern ausschließlich für unser der Religion typischerweise abgewandtes Kunstsystem, das weiterhin und uneingeschränkt durch die Errungenschaften der Moderne gekennzeichnet ist. Gerade diese Inkompatibilität musste dazu führen, dass sich ein „Kölner Domfensterstreit“ erst manifestieren konnte. In dieser im Jahr 2007 geführten öffentlichen Diskussion um Gerhard Richters Glasfenster für das südliche Querhaus des Kölner Doms zeigte sich das, was Wolfgang Ullrich als Unvereinbarkeit zweier mächtiger Lager, der Religion und der sog. „Kunstreligion“, beschrieb.7 In seiner Analyse wird klar, dass dem Richterschen Entwurf, in dem rund 11.500 Glasquadrate aus 72 Farben durch ein digitales Zufallsprinzip angeordnet wurden, keinerlei weitere künstlerische Interventionen zugrunde lagen und dieser sich folglich allem, was im traditionellen Verständnis weitgehend als Kunst verstanden werden könnte – Genie, Handschrift, inventio – entzieht. Dabei schreibt Ullrich dem Fenster nicht nur einen „kunstreligiösen“ Status zu, der dadurch gekennzeichnet ist, dass moderne Kunst weder Heil versprechend, transzendent, noch narrativ und sinnstiftend, sondern vielmehr chaotisch, wirr und verweigernd ist.8 Da sich durch die Beliebigkeit der Anordnung „unbegrenzte Möglichkeitsräume“ eröffnen, lasse das Werk zwar die „Freiheit des Individuums“ unangetastet, vermöge aber zugleich „kaum etwas zu vermitteln, das über das […] Projizierte“ hinausgehe.9 Dan Fox hat diese Unvereinbarkeit von religiös bestimmten Inhalten und den vielfältigen Möglichkeiten der Projektion von Bedeutung in die moderne Kunst durch den Betrachter im Editorial einer der Religion und Spiritualität gewidmeten Ausgabe von frieze noch anders diagnostiziert. Die vielerorts erkannte „cognitive dissonance“, eine auf Wahrnehmung begründete Unstimmigkeit, führe daher, dass „religiöse Überzeugung als ein Zeichen von intellektueller Schwäche“ gesehen werde, indes „Bedeutung in der Kunst oft eine Frage des Glaubens [belief]“ sei.10 Dabei findet Fox keine eigentliche Antwort auf seine Feststellung, weshalb es für Künstler „OK ist, in einer vagen Art und Weise ‘spirituell’, irgendwie ‘new agey’ zu sein, aber nicht ‘religiös’, außer dass diese Art der Spiritualität frei von Dogmen zu sein scheint.“ Sie wären, so Fox, nicht so fähig wie organisierte Religionen, Kontrolle über Menschen auszuüben.11

Unabhängig von der Frage, ob moderne und folglich auch die zeitgenössische Kunst in ihrem avantgardistischen Prinzip per se anti-autoritär und subversiv ausgerichtet ist, scheint es aufgrund der gerade skizzierten Topoi kein differenziertes Bezugssystem zu geben, indem sich die beiden offenbar gegensätzlichen, obgleich mit den gleichen Strategien der Glaubensgenerierung arbeitenden Pole von Religion und „Kunstreligion“ verbinden. Dass die prinzipielle Unvereinbarkeit nicht nur eine historisch-theoretische und verallgemeinernde, sondern auch eine das Kunstsystem reflektierende Dimension besitzt, soll am Beispiel des Films der Antworten ausführlicher diskutiert werden.

Im Film der Antworten spiegelt sich das Phänomen wider, dass Werke, deren Zuordnung zur Religion oder zur Kunst nicht eindeutig ist, aus der aktuellen Diskussion ausklammert werden. Nur wenige Institutionen haben sich bereit erklärt, diesen Film im spezifisch künstlerischen Kontext eines Ausstellungsraums zu zeigen. Bezeichnenderweise haben sich auch Orte, die ausschließlich oder vorwiegend nur religiöse Werke zeigen, skeptisch gezeigt.12 Weshalb ist dies so? Der Film der Antworten könnte als Dokumentarfilm bezeichnet werden, der sich in die von Thomas Henke entwickelte Serie der filmischen Porträts eingliedern lässt. Henkes Porträt-Projekten sind allesamt eine ausgesprochene Rückbezüglichkeit auf das gewählte Medium eigen, die sich durch den teils offensichtlichen, teils unbemerkbaren Einsatz der Kamera auszeichnet. Dieser spezifische Einsatz der Kamera geschieht durch wiederholte Hand- und somit Perspektivwechsel, der sich dadurch bemerkbar macht, dass sich die Blicke des Filmenden zum Gefilmten mit demjenigen des sich selbst Filmenden abwechseln, sich also Fremd- und Selbstporträt im laufenden Wechsel gegenüberstehen. Diese Methode bringt es mit sich, dass die filmischen Konventionen und Strategien des Dokumentarfilms ihre Gültigkeit verlieren, da sich das traditionelle Verhältnis von Subjekt und Objekt in dieser Eigendynamik unweigerlich auflöst. Nicht von ungefähr hat Henke diesen experimentellen filmischen Resultaten auch die Bezeichnung liquid identities, also fließende Identitäten, gegeben. Der Film der Antworten besetzt jedoch eine eigene Kategorie, wenngleich er vergleichbare Intensitäten aufweist. Er folgt dem Konzept des filmischen Porträts, indem er die typische Struktur von Frage und Antwort rezipiert und sich, wie alle von Henkes Filmen, nur auf das gefilmte Gegenüber bzw. dessen Antworten konzentriert. Der Fragende, Thomas Henke selbst, hat sich weder visuell noch akustisch Platz eingeräumt. Entgegen seinen früheren Projekten, und hier unterscheidet sich Film der Antworten explizit, findet kein Handwechsel der Kamera statt. Das Auge des Betrachters ist konstant auf die Protagonistinnen gerichtet und wird nur durch Aufnahmen des Klosterlebens unterbrochen. Die Fixierung der Kamera auf die verschiedenen Erzählerinnen bewirkt, dass Unruhe wegfällt, die Konzentration auf das Wort gesteigert wird und sich ein dialogisches Verhältnis zwischen Protagonistinnen und Zuseher einstellt. Dieser Eindruck wird durch die Überlänge des Films von rund vier Stunden und die Schwarzblenden, die man als ein Innehalten im Rezeptionsprozess verstehen könnte, verstärkt. Die Visionierung führt dadurch auch zu einer der Meditation vergleichbaren Erfahrung, in der sich die Dauer des Films, die Intensität der Erzählungen und ein aufmerksames Zuhören zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis und Erkennen verbinden.

Beurteilen wir die Aussagen im Film, so fällt zunächst die Direktheit auf, mit der die Mariendonker Benediktinerinnen über ihre persönlichen wie auch allgemeinen Erfahrungen in der Abtei berichten. Dass die geschilderten Begebenheiten zwischen individuellen Geschichten dieser Frauen und deren Erläuterungen zur klösterlichen Mission, zum Wort Gottes sowie ihrer Ausrichtung auf ora, labora sowie das wissenschaftliche Studium der Schriften oszillieren, entspricht der Geschichte dieses Films. Er wurde erst dann möglich, als sich alle zweiunddreißig Schwestern der Abtei für die Partizipation an diesem Projekt, an dem am Ende nur eine kleine Gruppe von Benediktinerinnen Antworten auf Henkes Fragen gaben, aussprachen. Dieser Umstand mag auf die Stellung gerade jener Nonnen hinweisen, die nicht nur aus ihrer ganz persönlichen Geschichte heraus sprechen, sondern auch als Repräsentantinnen ihres Ordens gelten.

Im Film der Antworten erhält die katholische Kirche durch die Mariendoncker Schwestern ein menschliches Gesicht. Diese Tatsache ist religionspolitisch und im Kontext der Debatte über das Religiöse und die Spiritualität in den Künsten zu lesen. Den Filmemachern Peggy und Thomas Henke ging es nicht darum, ein dokumentarisches TV-Format oder eine Videoarbeit mit dokumentarischem Zuschnitt zu realisieren. Mit den Mitteln des Films wird an dieser Arbeit exemplarisch gezeigt, wie aus objektiv orientierter Dokumentation und subjektivem Engagement mediale Bilder entspringen, die trotz ihrer Vermitteltheit nicht in ästhetischer Distanz erfahren werden können. Entscheidend dafür ist die körperliche und auf Inhalte konzentrierte Präsenz der Schwestern und das gewählte Filmformat. Letzteres verbindet die Nahaufnahme der Porträtierten mit einer Art klösterlicher „Stimmungsbilder“, die allesamt zwar einer künstlerischen Ästhetik verpflichtet sind, jedoch auch kontrovers diskutierte Hinweise liefern. So sehen wir in einer Einstellung die Schwestern in Zweierformation schweigend zum Frühgebet gehen. In der morgendlichen Dämmerung erscheinen die Frauen in ihrer Habit als ein Bild sich bewegender konturierter Schwarzwerte, aus denen ab und zu ein Gesicht kurz aufscheint. Solch eine Abstraktion ruft auch andere Assoziationen wach, denkt man beispielsweise an das durch die Medien weit verbreitete und heute fast durchwegs politisch gelesene Symbol der verschleierten Frau. Die Filmemacher verwenden diese visuellen Hinweise, um die Tragweite des dargestellten religiösen Kontexts in Erinnerung zu rufen. Er wird explizit nicht verschleiert oder ganz ausgeblendet. Gerade auch von Gegnern der katholischen Kirche angeprangerte Themen wie das Gelübde der Keuschheit oder die Sexualität im religiösen Kontext werden von den Frauen angesprochen. Wiederholt kommt das Thema auf, sein eigenes Leben demjenigen Gottes unterworfen zu haben und sich für ein Dasein in Einsamkeit entschieden zu haben, das sich ganz und gar auf das Leben nach dem Tod ausrichtet, denn: „Letztlich erfahren wir die Erfüllung dieser Beziehung zu Gott erst im ewigen Leben – das ist klar. Insofern ist unser Leben tatsächlich das Warten der Braut auf den Bräutigam, (…) das ist Jesus Christus.“

Die Bedeutung von Film der Antworten liegt darin, dass er am Dialog über den Glauben an Gott und Jesus Christus ansetzt. Dies geschieht mit den Mitteln, die dem Film zur Verfügung stehen, wobei hier weder die Möglichkeiten des Illusionismus und der visuellen Verführung, noch dokumentarische und aufklärerische Konzepte eine Rolle spielen. Die Rezeption des Films durch den Zuschauer basiert weitgehend auf dem einfachen Phänomen des bewegten Bildes, das synchrones Sehen und Hören an einem festgelegten Ort und während einer bestimmten Dauer ermöglicht. Sie unterliegt einem Prozess, in dem sich die Aufmerksamkeit kontinuierlich steigert, je weiter man als Betrachter auf diesen offen geführten Dialog einzugehen vermag. Diese für den Film an sich typische Rezeptionsweise verbindet sich zeitweise sehr direkt mit der inhaltlichen Ebene, wenn beispielsweise von der Bereitschaft die Rede ist, „zu hören und das Ohr zu schulen.“ Die kontinuierlichen Befragungen, denen sich die Schwestern in ihren täglichen Beschäftigungen unterziehen, spiegeln sich auch in den Gesprächen wider. Fragen, die sonst an sich (oder Gott) gerichtet sind, werden in der filmischen Dialogsituation ein Angebot zur Reflexion: „Wer ruft mich wie?“ „Gott erkennen … wie will man das beschreiben?“ „Wie leidensfähig bin ich?“ „Welches Gewicht hat Schuld? Wie kann ich sie erkennen?“ Es ist die Dimension des Ansprechens, des Angesprochen-Werdens und des Zuhörens, das zu einem zentralen Moment in dieser Arbeit wird. Die Auseinandersetzung mit den Fragen, vielleicht auch der Wissensdurst über eine den meisten unbekannte Lebensform, findet wohl die größte Intensität, wenn vom Sterben und vom Tod die Rede ist. Die „letzte Frage“, „Gibt es ein Leben nach dem Tod?“, derer in der heutigen Gesellschaft wenig Platz gebührt, steht oftmals stellvertretend für die Frage „Glauben wir an ein Leben nach dem Tod?“. Als eigentliche Glaubensfrage wird sie vielen erst dann bewusst, wenn das Leben besondere Herausforderungen stellt. Die Intensität dieser Auseinandersetzung wird zudem dann am größten, wenn solche Überlegungen nicht abstrakt und distanziert, sondern ganz physisch und unerwartet vor Augen geführt sind:

… Beim Sterben ist eigentlich beides: Einerseits ist das ein hochfeierlicher Moment, in dem wir wissen, unsere Schwester kommt jetzt vor das Angesicht Gottes, und andererseits ist es dieses absolute körperliche Fiasko. Die Organe setzen aus, und das ist immer schrecklich. Da hilft es auch gar nicht, das schönzureden. Wenn jemand röchelt und aufhört zu atmen, dann steht man ganz angespannt daneben. Ich denke immer, wieso atmet sie nicht weiter, ich muss doch etwas tun. Aber natürlich zwinge ich mich dazu, nichts zu tun. Wenn es wirklich der Tod ist, greifen wir nicht mehr ein, dann beten wir zusammen, das ist klar.

Wir beten beim Sterben den Vers aus Psalm 118, mit dem wir unser Gelübde ablegt haben: Nimm mich auf, oh Herr, nach deinem Wort, dann werde ich leben, enttäusche mich nicht in meiner Hoffnung.

Diese Sequenz thematisiert nicht nur die körperliche Endlichkeit des Menschen, sondern auch die Verbindung einer persönlichen und unbeschreiblichen Beobachtung mit dem Gebet zu Gott. An diesen Stellen bricht das filmische Format auf und wird zum eigentlichen Glaubensbekenntnis zwischen der geistlichen Erzählerin, den Zuschauern und den Autoren, in dem jegliche filmische und damit künstlerische Konventionen ihre Gültigkeit verlieren. Der Film der Antworten macht in dieser Hinsicht eine empfindliche Leerstelle in der Debatte um die Religion in der Kunst sichtbar, da er Erfahrbarkeit und Transzendenz, das heißt die Vermittlung von Sinn und Erläuterung durch das Mittel der Kunst, nicht kategorisiert, dichotomisiert und bewertet. Ist Film der Antworten deswegen rückwärtsgewandt? Ist er zu wenig polemisch und kätzerisch und deswegen „uncool“, gar keine Kunst? Folgt er den Regeln der Anti-Kunst oder würde er auch im Kunstmarkt seine Anhänger finden? Ist er missionarisch oder aufklärerisch? Fragen, die der Film der Antworten vielleicht sogar zu beantworten weiß und dessen Antworten zu guter Letzt Spiegel seiner Fragen sind.

This text was published in: Henke, Thomas (ed.), Film der Antworten, Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst, 2012, pp. 34-39

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