2014 | The Silence of a Movement


Photos: Susanne Neubauer

Zur Einführung von „The Silence of a Movement“ – Theorie, Praxis und die kollaborativ kuratierte Gruppenausstellung als Essay

Die Ausstellung „The Silence of a Movement: A Group Show“ rezipiert zentrale Aspekte der Idee des „Gesamtkunstwerks“ und schließt diese mit Fragen zur kollaborativen Autorschaft explizit kuratorischer Arbeit kurz. Ausgangspunkt bilden die Werke einer jüngeren Künstlergeneration—Swantje Hielscher, Marte Leite, Paul Darius, James Edmonds und Daniel Kupferberg, die den Entwicklungsprozess der Ausstellung eng begleitet und mit geformt hat—sowie die künstlerisch-kuratorischen Konzepte Harald Szeemanns, Robert Wilsons, des philippinisch-internationalen Künstlers David Medalla sowie des australischen Künstlers Adam Nankervis. Letztere verfügen beide über umfangreiche Sammlungen, die eng mit ihren jeweiligen künstlerischen Praxen verbunden sind und als Künstlermuseen Momente einer ganz eigenen „Gesamtkunstwerk“-Situation bilden. „The Silence of a Movement: A Group Show“ ist der Versuch einer Fassung des für die Zeit der 1960er Jahre sehr prägenden Phänomens der Hinterfragung von Autorschaft im Vergleich zum „Hang“ (Szeemann, 1983) nach synästhetischer kollaborativer Erfahrung und Intermedialität bei sog. „Gesamtkunstwerken“. Diese hat sich Ende der 1990er Jahre u. a. unter dem Schlagwort der „Relational Aesthetics“ in heutige die Grenzen diffundierende Tätigkeitsbereiche sozialer Interaktion aufgelöst. Im vorliegenden Projekt steht aber weniger die eigentliche Umwertung des Kunstwerkbegriffs in Kommunikation und DIY-Aktivitäten beteiligter Akteure im Fokus, d. h. das künstlerische Kollektiv, als die explizit kuratorische Tätigkeit. Indem die Ausstellung Objekte, Werke, Dokumente und neue Textproduktionen in einen Spannungsraum überführt und exponiert, stellt sie die vom temporär agierenden, demokratisch organisierten Kuratorenkollektiv für relevant befundenen inhaltlichen Aspekte zur Diskussion und sollte – so die zu untersuchende Fragestellung – zu einer Stärkung der kollektiven Aussage führen. Der Leitgedanke der „stillen Bewegung“ reflektiert über die mögliche Verneinung von individualistisch geprägter Aktion als kritische Instanz im Hinblick auf die Betonung von Sprachlosigkeit, dem Wunsch nach Fokussierung der Wahrnehmung und der Reduktion von Komplexität innerhalb unserer Umwelt. Robert Wilsons ihre Kinder in Zeitlupe tötende Mutter in „Deafman Glance“ und weitere Figuren seiner Oper sind nur ein Beispiel dafür, wie eine solche Verdichtung durch Reduktion realisiert werden kann.

Fokus der Ausstellung ist folglich nicht die Diskussion um den Rollentausch von KünstlerInnen und KuratorInnen, um das Prekariat dieser Tätigkeiten oder die Bedeutungsmacht von KuratorInnen bei der Autorschaft künstlerischer Werke, wie sie meist in heutigen Curating-Diskursen behandelt wird.1 Vielmehr soll die Ausstellung und das Katalogbuch Einblicke in kollaborative Praktiken der Begriffs- und Bedeutungsfindungen geben und jene Arbeitsprozesse sichtbar machen, die für die Art und Weise, wie sich eine Ausstellung am Ende präsentiert, verantwortlich sind. Im Sinne Walter Benjamins sind Ausstellung und Buch eine Aufforderung zur „Mitarbeit“ (der „Konsumenten“), die sich durch die Offenlegung der Produktionsmittel (des „Autors“), d. h. der Prozesse, einstellt2 und die sich im Kontext einer kollaborativ kuratieren Ausstellung nochmals umwerten. Eine Vermischung von Autoren und Rezipienten ist besonders in den kuratorischen Prozessen auszumachen. Ausstellungen durchlaufen verschiedene Produktionsmodi, die aus kuratorischer Sicht zwar antizipiert, jedoch nie mit Sicherheit vorausgesagt werden können: Der Kurator-Autor wird im Moment der Eröffnung genauso zum Rezipient-Konsument einer Ausstellung wie das eigentliche Publikum. Die Unvorhersehbarkeit der kuratorischen Tätigkeit (Werkauswahl, Display, Vermittlungsformen, am Ende die Umsetzung im Raum), die in der Regel personenimmanent ausgetragen und wenig diskutiert wird, ist im vorliegenden Projekt zentraler Angelpunkt und Aufforderung zum Experiment.

Das 18köpfige Kuratorenkollektiv hat sich ausgehend von den Ansätzen der ausgewählten Künstlerinnen und Künstler um sechs verschiedene Themenbereiche ausgetauscht. Das Resultat ist ein kollaborativ verfasster Text („The Silence of a Movement – Bewegungen des Geists mit dem Ziel, zu einem kollaborativen Text zu gelangen, der die Ausstellung in ihren Inhalten lenkt“), der eine weitere Annäherung an das Projekt in seiner Gesamtheit darstellt. Obwohl in reinem Textformat gehalten, spiegelt der Essay doch auch Auslassungen ( – – – ) und Irregularitäten und folglich Zeichen des Agierens der unterschiedlichen Mitglieder des Kollektivs wider. Die Organisation in Arbeits- und Peer-to-Peer-Gruppen hat zum einen einen engmaschigen Informations- und Ideenaustausch ermöglicht. Zum anderen ist gewährleistet worden, dass sich Autorschaften nicht verselbständigt, sondern immer wieder verbunden haben. Eine Ausnahme bildet dieser einführende Text. In Anlehnung an Harald Szeemanns Prämisse, nur der „Hang“ eines „Gesamtkunstwerks“ ist von Interesse,3 hat sich dieses Projekt als freie Annäherung unterschiedlicher Konzepte, Ideen, Haltungen und Werken verstanden, die in einem Raum gegenübergestellt worden sind. Trotz dieser offenen, eigenen Definition, was eine Ausstellung alles sein kann, war die Voraussetzung zur Realisierung, dass jedem Werk und jedem Gedanken sensibel und mit Umsicht begegnet wird. Ziel war die dichte (auch räumliche) Verwebung von Aussagen aus unterschiedlichen Medien, um ein „Rauschen“ zu ermöglichen, das von Sprachlosigkeit (vor dem Werk und der Welt) und dem Innehalten von Bewegung (vor dem Werk und der Welt) geprägt ist. Dem Versuch, ein einheitliches Erlebnis im Raum zu gestalten, stehen die einzelnen Werkbeschreibungen im Katalogbuch gegenüber. Es ist die „lautlose Bewegung“ der Gedanken, die vom Werk in das Geflecht des Raumes zurück zum Werk in Form einer Abbildung oszillieren.

1 Roberts, John: The Intangibilities of Form: Skill and Deskilling in Art After the Readymade, London: Verso, 2007, S. 184; Anton Vidokle: „Art without Artists?“, in: e-flux, 05/2010 (http://www.e-flux.com/journal/art-without-artists, Zugriff 1.10.2013)

2 „Und zwar ist dieser Apparat um so besser, je mehr er Konsumenten der Produktion zuführt, kurz aus Lesern oder aus Zuschauern Mitwirkende zu machen imstande ist.“ Benjamin, Walter: „Der Autor als Produzent“, in: Gesammelte Schriften, Bd. II.2: Aufsätze – Essays – Vorträge, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, S. 696.

3 Harald Szeemann, „Vorbereitungen“, in: Harald Szeemann, Der Hang zum Gesamtkunstwerk, Aarau: Sauerländer, 1983, S. 16-19.

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